Auf der Kippe

Meine Lieben

Essen hat einen hohen Stellenwert in meinem Leben. Dazu gibt es eine Geschichte: als Neurodermitikerin der ersten Generation mit Ekzemen und Akne an den ungünstigsten Körperstellen, absolvierte ich schon früh Besuche bei Schulmedizinern, Akkupunkteuren, Pendlern, Homöopathen und Naturheilern und Scharlatanen aller Art. Ob Kortison, Globuli, Cremes oder auch gerne mal eine Vitamin- und Mineralkur, nichts half längerfrist. Also fing ich an, einen Weg via Lebensmittel zu suchen. Nach interessanten und mehr oder weniger hilfreichen Experimenten wie salzfrei, zuckerfrei, rotes-Gemüse-frei, weizen-, laktose-, gluten- und nussfrei kam schliesslich die glorreiche Einsicht: von Allem in Massen. Seit etwas mehr als einem Jahr nun versuche ich weniger/kein Fleisch zu konsumieren. Was lukullisch, emotional und gesellschaftlich sehr schade ist, denn ich liebe den Scheiss. Speck zum Ei? Leberli mit Rösti? Bratwurst und Bürli? Hühnerbouillon? Salami?

Anhang 1

Im Frühling vor einem Jahr machten Tenderoni und ich die klassische Runde von Los Angeles über Las Vegas nach San Francisco. Während dieser Zeit las ich das Buch TIERE ESSEN. Mag sein, dass es stellenweise reisserisch geschrieben ist. Mag sein, dass wir hier in der heilen Schweiz unsere Tierchen besser behandeln als überall sonst auf der Welt. Und mag sein, dass wir uns tatsächlich fragen, wo wohl der Rest des ganzen Viechs bleibt, wenn wir zweimal die Woche Rindsfilet bestellen. Ich habe auf jeden Fall nach der Lektüre für ein paar Monate komplett aufgehört, Tiere zu essen. Ich konnte nicht, nur schon die Hälfte des Wissens hätte gereicht, mir die Kehle zuzuschnüren. Auf die Wintermonate hin stellten sich die alten Gelüste wieder ein und ich schnoigte von anderen Tellern oder bestellte mein geliebtes Zürigschnätzlets und verputzte es bis zum letzten Bissen. Seit diesem Frühling mit all der Vielfalt an einheimischem Gemüse und Früchte fällt es wieder so leicht, ohne Fleisch und Fisch zu leben. Meiner eigenen Glaubwürdigkeit zuliebe verzichtete ich vorletzte Woche auf diese sensationelle Kruste vom Schweinebraten meines Vaters. Und hinterfragte mich gleichzeitig, ob das jetzt Selbstkasteiung ist und was das denn soll. Ich versuche, in meinem Umfeld nicht zu sehr zu missionieren, aber wie das so ist bei den grossen Offenbarungen im Leben, man will alle daran teilhaben lassen. Deshalb hier und jetzt auch noch schriftlich, gäled.

Wir alle WISSEN, dass viele Viecher auf engstem Raum eingepfercht sind, teils auf Gitterböden stehen müssen, täglich Unmengen von Medikamenten verabreicht kriegen (präventiv!) und viele von ihnen ihr ganzes Leben lang kein Tageslicht sehen. Ich höre euch Leute „jaja, schoguet, mer muess eifach luege, woher dasses chunt untmer nöd zvill isst“. Aber ich kenne nur zwei Menschen, die ihr eigenes Lämmli töten (der eine ist Metzger von Beruf, der andere ein Einsiedler im Bündnerland). Und NIE höre ich mein städtisches Umfeld die Bedienung im Restaurant zur Herkunft des Gerichts befragen. Wenn auf der Karte FLEISCH: CH steht, sind wir beruhigt. Ein kleines Beispiel: der Vater der Kinder der blonden Freundin mokierte sich letzten Freitagabend darüber, dass das Label Naturafarm (oder ähnlich) etwas suggeriere, was nicht stimmt. Das Töchterchen kriegt anderntags auf dem Fussballplatz einen Hotdog. Weischwasimein? Es ist ein Umdenken, das erst ins Unterbewusstsein dringen muss. Das Thema gehört immerhin bereits zum guten Ton und wird auf allen möglichen Plattformen diskutiert, z.B. auch HIER oder HIER. Ich schliesse also mit folgendem Gedanken: der Vegetarismus mag ein Auswuchs unseres kollektiven Erstewelt-schlechten-Gewissens sein. Denn erst, wer genug zu Essen hat, kann wählerisch sein. Gerade deshalb aber sollten wir diesen Luxus wahrnehmen und uns hinterfragen, was wir uns in welcher Menge zuführen, woher es kommt und ob es denn wirklich nötig ist oder einfach eine Gewohnheit?

Das obige Bild wurde übrigens vom wunderschönen Instagram-Profil feldgasse3 des Walliser Cowboys Roland Ammann zur Verfügung gestellt. Lieben Dank, Roland! Wenn ich mir nun vorstelle, wie ich von diesem schnugigen Ding zu meinem Entrecôte komme, wird mir schon mulmig, du. In Japan ist übrigens gegrillte Rinderzunge eine Spezialität.

Mit herzlichem Gruss und ganz vielen Rezepten HIER
Eure Fleischesserin auf der Kippe

Zitat Knut Hansen/Christian Ulmen: „Diana, zu Tisch, dein Essen wird welk“.

2 Gedanken zu „Auf der Kippe

  1. So guet! So gut, dass wir anfangen umzudenken, dass es trendy ist – das vegan und so…
    Bei mir war es das Buch „Anständig essen“ und Andreas Bär Läsker auf Facebook. Das Buch sickerte langsam ins Gemüt. Bär, der Manager der Fantastischen 4, ist eher der Typ Vorschlaghammer… beide verfehlten ihre Wirkung nicht. Seit diesem Jahr hab ich einen Zipfel Cervelat und ein Bizzli argentinisches Rindfleisch gegessen& gemerkt: Es ist vorbei. Schon verrückt, weil davor gehörte ich zum Typ möglichstvielFleischamliebstenjedenTagDreimal&fürmichdasgrössteStückbitte.
    Den Fisch hab ich noch nicht geschafft…und den Alpkäs mag ich auch so gern… Wer konsequent sein will und trällern: Wegen mir sterben keine Tierlis, der muss eben den vegan-Zug nehmen. Mal schauen, wann ich das GA dafür kauf. In der Zwischenzeit koche ich immer mehr super leckere vegane Gerichte und freue mich auf den Moment, wo Käs&Fisch von meiner Speisekarte fallen.

    PS: Der ganze weltweite Fleischkonsum sei dreimal so schlimm für unsere Umwelt wie der ganze weltweite Verkehr inklusive Flugis und Autos. Das hat mich am meisten überzeugt am Ganzen!

  2. Spannend, sehr spannend liebe Nina!

    Vielen Dank für diesen interessanten Post.

    Also ich halt das mal eher so mit dem „von Allem im Masse“. Ich hatte schon das Vergnügen so Hardcore Vegan-Familien kennen zulernen. Und obwohl ich da ja mit Kinderchen so grad gar keine Erfahrung habe (also vielleicht dann doch nicht ganz „von Allem im Masse“…) taten mir die ausgemergelten bleichen Goofen richtig leid – wie sie am Grillfest an den mitgebrachten, getrockneten Reisrigeln lutschten während andere Kinderchen sich voller Freude die Wurst vom Grill und die fettigen Pommes-Chips, sabbernd in die rotbebackten Mäulerchen stopften und mit reichlich Cola begossen. Die Vegan-Kids hingen ganz verstört am Ökobaumwoll-Rockzipfel ihrer Mutter oder am Hanfhosenbein ihres Papis, wenn sie sich auch keinen Becher des schrecklichen Coca-Colas gönnen durften, so war ich doch beruhigt, dass sie wenigstens auch vom ganz normalen Himbeersirup (hat der etwa auch was tierisches drin?) der anderen Kids schlürfen durften, aus dem mitgebrachten Chromstahlbecher notabene, Plastikbecherchen geht gar nicht!

    Mein Vater sagt immer „Du sollst nicht gesünder leben wollen als es Dir gut tut“. Und so mag die in gemütlicher Gesellschaft verzehrte Schweinsbratwurst, die Butterrösti, der schwere Rote, der starke Espresso und der noch stärkere Grappa dazu vielleicht die ultimativ ungesunde, tierschutzverachtende und weiss was noch Mahlzeit sein – und doch, irgendwie und irgendwo tut’s doch auch gut.

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